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Die Neigung ist fast unmerklich, in der sich der Horizont in eine Schräge senkt und unversehens ist der Raum ein anderer. Wenn Max Schulz Architektur photographiert, wird deutlich, dass jede Einstellung das Raumgefüge interpretiert, indem der Blickwinkel Möglichkeiten der Raumwahrnehmung sichtbar werden lässt, die jenseits der Horizontal-Vertikal-Verortung liegen. Bestimmend dabei ist die Diagonale, die als Flucht den Bildraum durchkreuzt und durchquert, immer wieder die Fläche attackiert, Schneisen schlägt und in sie einfällt wie das gleißende Licht, das den Raum wie ein Blitz durchfährt – Augenblicke wie Bruchstücke einer fremden Zeit. Dabei können diese Aufnahmen nicht Bilder bleiben, sondern sie erfassen den Körper des Betrachters, der sich im Raum nicht mehr halten kann, das Fadenkreuz der Wahrnehmung immer wieder neu austarieren muss und in wechselnden Umstellungen und Zusammenstellungen mit sich selbst unaufhörlich aus sich hinausgeht – den unter-, hinter- und vordergründigen Raumenergien ausgesetzt. Die Verwandlung gebauter Räume in Raumansichten bedeutet nicht nur die Übersetzung von dreidimensionalen Räumen in eine zweidimensionale Bildwirklichkeit, sondern sie umfasst bei Max Schulz immer auch den Aufbruch der Formen in Ereignisse und den Ausbruch des Körpers aus den Grenzen seiner Verortung und Gestalt. Was sich in den nur scheinbar einer traditionellen Bildlogik verpflichteten Arbeiten in kleinen Manövern und subversiven Akten andeutet, wird in einer anderen Gruppe von Arbeiten zum Raum generierenden Bildprinzip. Schwarz/Weiß-Aufnahmen von räumlichen Konstellationen wie Durch- und Einblicke, Treppen- und Handläufe und immer wieder Ecksituationen werden so miteinander kombiniert und verschnitten, ineinander verschachtelt und miteinander verkantet, dass Gegensätze wie Fläche und Raum, Licht und Schatten, Öffnung und Block, Körper und Nicht-Körper nur als Relation und in Relation wahrgenommen werden können. Nichts ist, was es war, nichts ist, was es ist und alles kann alles sein - seltsames Gemisch, in dem alles gleichermaßen starr und fließend zu sein scheint, luzide und amorph, geheimnisvoll in seiner vermeintlichen Klarheit, in seinem Schweigen und in seiner Helligkeit. Konsequent folgen darauf Bilder von künstlichen Räumen, in denen Raumvorstellungen Gestalt annehmen, in denen sich Traum und Trauma an den Pforten der Wahrnehmung begegnen. Clusterartige Versatzstücke und Raumfragmente verbinden sich zu unvorstellbaren Konstrukten, die ineinander verspiegelt und gegeneinander verdreht, ineinander verklappt und gegeneinander verschoben sind. Wie in einem Kaleidoskop zersplittert der Raum, der fortwährend zu kollabieren droht, indem er sich gleichzeitig wie von selbst erzeugt. Geklonter Raum vervielfacht und vervielfältigt sich wie ein wuchernder Organismus von Raumzellen, die Doppelgänger ihrer selbst zu sein scheinen, ohne sich je zu gleichen. Redundanz und Komplexität, Ordnung und Chaos gehen dabei eine eigentümliche Symbiose ein, in der sie sich zu ornamentalen Gefügen verbinden, die von partiellen Gesetzmäßigkeiten durchdrungen sind, auch wenn diese sich immer wieder als „allover“ präsentieren. Diese so seltsam vertrauten und gleichwohl fremden Welten kommen Raumerfahrungen der Wirklichkeit so nahe, dass sie teilweise- trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Künstlichkeit - mit ihr zusammenfallen. Sie rücken unaufhörlich aufeinander zu und werden eins im unmöglichen Akt, sich in den nur vordergründig rationalen Systemen zu positionieren, ohne dabei immer wieder in die in ihnen verkapselten Abgründe zu stürzen. Frau Prof. Dr. Karin Stempel


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